Betreutes Scheiden aus dem Amt

SPD-Mann Jens Bullerjahn steigt aus - mit guten Ratschlägen etlicher Politrentner

  • Hendrik Lasch, Ahlsdorf
  • Lesedauer: 4 Min.
26 Jahre hat der Ingenieur Jens Bullerjahn die Politik in Sachsen-Anhalt mitgeprägt. Der SPD-Mann hat für Rot-Rot Strippen gezogen und unter CDU-Chefs regiert. Jetzt steigt er aus und geht segeln.

Vor der Party waren die Jungs in Ziegelroda in der Garage. Dort ließ Jens Bullerjahn seine Kumpel einen Blick auf sein zweirädriges Sportgerät werfen. Die Maschine hat wohl Eindruck geschunden. Als Bullerjahns Chef Reiner Haseloff im Laufe der Feier an ein Papier erinnert, das diesen für ein paar Resttage für seinen Job als Finanzminister verpflichtet, mischt sich Matthias Platzeck ein: »Wir haben sein Motorrad gesehen und ihm geraten: Unterschreib' nicht!«

Bullerjahn hat doch unterschrieben; bis zum 25. April macht er noch. An dem Tag will sich Haseloff erneut zum Ministerpräsident wählen lassen und ein Kabinett benennen. Bullerjahn, der dienstälteste Finanzminister der Republik, wird ihm nicht mehr angehören: Der SPD-Mann aus dem Mansfeld macht Schluss. Bei seinem Ausstand, der zünftig mit Blasmusik und Fettbemmen im Kulturhaus des Ziegelröder Nachbarorts Ahlsdorf gefeiert wird, lässt der 53-Jährige durchblicken, wie er sich in Zukunft seine Tage vorstellt. Im Mai erwirbt er den vorerst letzten einer Reihe von Segelscheinen; im Herbst will er mit Freunden in vier Tagen nonstop von Rostock nach Oslo segeln; 2017 sollen die Routen länger werden. »Der Kolumbus von Mansfeld«, ruft CDU-Mann Karl-Heinz Daehre in den Saal.

Daehre hat den Ausstieg bereits hinter sich; er ist einer von einem halben Dutzend Politrentnern, die zwischen 300 Leuten im Ahlsdorfer Kulturhaus sitzen: CDU-Mann Wolfgang Böhmer, bis 2011 Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt; Bullerjahns Parteifreunde Klaus Wowereit, bis 2014 Regierender Bürgermeister in Berlin, und Platzeck, bis 2013 Regierungschef in Potsdam. Auch Thilo Sarrazin ist da, der, bevor er Autor dubioser Bücher wurde, ein Amtskollege Bullerjahns war. Fast scheint es, als suche der den Rückhalt anderer, die den Absprung schon geschafft haben - betreutes Scheiden aus dem Amt.

Gute Ratschläge erhält Bullerjahn in der Tat: »Man muss abtrainieren«, sagt Böhmer, der das dem Vernehmen nach im Rosengarten erledigt. »Man darf nicht hadern und muss das Leben genießen«, sagt Wowereit. Zwar müsse der Politrentner auf einiges verzichten: Dienstwagen, Leibwächter und »die Schleimspur der Leute, die einem in den A*** kriechen«. Klar sei aber von Anfang an, dass es sich um Ämter auf Zeit handle, »anders als in Königshäusern, die ein Leben lang darunter leiden«.

Bullerjahn stammt nicht aus royalen Kreisen, sondern aus einer Bergmannsfamilie. Als der Umbruch von 1990 den Elektroingenieur in die Politik trieb, gab es zu Hause Zoff; Parteien standen nicht hoch im Kurs. Am Ende willigte der Vater ein: »Aber nur, wenn es sich lohnt«, erinnert sich Bullerjahn, der inzwischen die Hälfte seines Lebens der Politik gewidmet hat und die Politik von Sachsen-Anhalt ein Vierteljahrhundert mitprägte. Zunächst war er im Magdeburger Modell, in dem SPD und PDS von 1994 bis 2002 kooperierten, eine Art Chefunterhändler, der mit seinem Amtskollegen und Freund Wulf Gallert die Strippen zog und, wie berichtet wird, bei so mancher Flasche Whisky politische Probleme entschärfte.

Dann aber wechselte Bullerjahn den Kurs. In vier Oppositionsjahren wühlte er durch die Finanzen des Landes und schrieb Papiere über »Sachsen-Anhalt 2020«; er sinnierte über Sparpolitik und die Notwendigkeit von Länderfusionen. 2006 führte er als Spitzenkandidat die SPD zurück in die Regierung - aber nicht, was rechnerisch möglich gewesen wäre, mit der LINKEN, sondern mit der CDU. In zehn schwarz-roten Regierungsjahren hat er sich danach um das Geld gekümmert und, so sagen die einen, den Haushalt in Schuss gebracht; andere lasten ihm an, Theater und Hochschulen, Lehrkörper und Polizei nahezu kaputt gespart zu haben. Viele Kritiker fanden sich in der LINKEN. Auffällig: Deren Politiker fehlen bei Bullerjahns Ausstand; die CDU war mit Landräten und anderen Würdenträger vertreten.

Allerdings: Auch an Prominenz aus der Landes-SPD fehlte es - Indiz dafür, dass sich Bullerjahn durch seinen Sparkurs auch mit vielen seiner eigenen Genossen überworfen hat. Dass er jetzt geht, geschieht denn auch nicht gänzlich aus freien Stücken; den Machtkampf mit Katrin Budde, Spitzenkandidatin bei der Wahl im März, hatte er schon vor langem verloren. Jetzt geht der Heavy-Metal-Fan, dessen Haare so lang wie vor 26 Jahren sind, wenn auch etwas grauer, in den Ruhestand. Das Motorrad wartet. Er wolle auch noch »ein wenig konzeptionell arbeiten«, sagt Bullerjahn. Und falls das nicht reicht? »Comebacks gab es auch schon«, sagt Klaus Wowereit: »Nana Mouskouri hat das schon zehn Mal gemacht.«

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